Gilt Bogensport = Bogensport?
Leider (oder glücklicherweise?) ist dem nicht ganz so. Hierzu muss man zuerst einen Blick auf die Organe richten, die als Dachverbände arbeiten. Diese bestimmen letztlich die Reglements. Es gibt (leider) eine Vielzahl von Verbänden, die sich zum Teil sehr stark spezialisiert haben.
Dann zu den Formalitäten: jeder der Verbände ist für eine große Masse der Schützen oder für eine kleine Randgruppe zuständig, manchmal überschneiden sich die Konzepte und dann wird es unübersichtlich.
Es fängt an mit der Frage "welchen Bogen darf ich überhaupt wie schießen", geht unmittelbar weiter mit "in welcher Klasse schieße ich damit eigentlich?" und endet meist mit "... und wofür das Ganze?"
Nun, auf die letzte Frage gibt es keine abschließende Antwort, aber mit den beiden ersten Punkten sollte man sich vertraut machen. Denn wenn man auf Turniere gehen will, sollte man unangenehme Überraschungen, was die Einstufung des eigenen Bogens angeht, vermeiden. Und seien es nur die Spaßturniere des Nachbarvereins. Nichts ist in diesem Zusammenhang ärgerlicher, als wenn man in eine ganz andere als die erwartete Bogenklasse eingestuft oder gar mitten beim Turnier disqualifiziert wird (hat es alles schon gegeben). Da steckt keine Schikane hinter, das soll nur eine Gleichberechtigung der Schützen sicherstellen. Das ist im Übrigen der Hintergrund, warum es Verbände und deren Regeln gibt. Nicht, um die Schützen einzuengen, sondern um faire Verhältnisse und eine Vergleichbarkeit herzustellen.
Diskussionen, wie diese Einteilung fairer gestaltet werden könnte, gibt es zuhauf, doch die Lösung ist einfach nicht in Sicht. Also sollte man sich an dem orientieren, was aktuell Stand der Regularien ist.
Aber man muss hier immer wieder betonen: der reine Spaßschütze kann und sollte das schießen, was ihm gefällt, wichtig wird es dann, wenn man Turniere besuchen will.
Das bringt uns zum nächsten und wichtigstem Punkt: auf was kann man auf Turnieren alles schießen? Nun, prinzipiell auf alles, was durch ein Reglement abgedeckt ist (im Spaßbereich selbstverständlich noch auf viel mehr!). Und hier gibt es 2 große Kategorien: Scheiben- und Feldschießen. Ersteres ist das, was man von Olympia kennt: es geht auf festgelegte Entfernungen und auf die schön bunten Ringscheiben. Das Zweite findet nicht auf der platten Wiese statt, sondern es wird hierzu im Gelände ein Parcours abgesteckt, auf dem Scheiben gestellt sind. Hier wird bergauf und bergab geschossen, auf Scheiben in unterschiedlichen Größen, auf bekannte und unbekannte Entfernungen. Licht- und Geländebedingungen spielen hier eine große Rolle. Eine Variante ist der sogenannte Bogenjagdbereich (die tatsächliche Jagd mit dem Bogen ist in Deutschland nicht gestattet): in diesen Disziplinen wird auf Tierbilder oder auf 3D-Tiere (Nachbauten aus Kunststoff) geschossen.
In Deutschland ist der DSB (Deutscher Schützenbund) der größte Dachverband der Sport- und Bogenschützen. Er ist auch derjenige Verband, der Sportler u.A. zu Olympia entsendet. Er arbeitet auf internationaler Ebene mit der WA (World Archery Federation, früher: FITA) zusammen, die der Weltdachverband für den Bogensport ist. Zumindest für den Bereich des Scheibenschießens, wie man ihn von Olympia, den World Games, der Bogen-Bundesliga etc. kennt.
Ein weiterer internationaler Dachverband mit dem Schwerpunkt Feldbogen ist die IFAA (International Field Archery Assoziation), in Deutschland vertreten durch den DFBV (Deutscher Feldbogen Sportverband). Historische Anmerkung: die IFAA hat sich vor vielen Jahren von der FITA (heute: WA) abgespalten, da diese den Compoundbogen nicht unterstützen wollte. Jetzt haben wir den Salat, d.h. 2 internationale Verbände.
Kompliziert wird es u. A. dadurch, dass die WA auch im Feldbereich aktiv ist und sich verstärkt im Jagdbereich engagiert und die IFAA bzw. der DFBV Hallenmeisterschaften (auf 18 m, wie von der WA bekannt) durchführt.
Den Durchblick verloren? Macht nichts, wir sind lange noch nicht fertig. Es gibt in Deutschland auch den DBSV (Deutscher Bogensportverband 1959), der historisch gesehen der ehemalige DDR-Verband ist. Er ist ein reiner Bogensportverband - was ihn gegenüber dem DSB für manchen Bogenschützen als attraktiv erscheinen lässt. Leider wurde nach der Wende die Chance verpasst, einen Zusammenschluss herbeizuführen.
So, und um den Ganzen jetzt noch einen draufzusetzen, gibt es seit 2016 den TBVD, den “Traditionellen Bogensport Verband Deutschland”. hier haben sich Schützen zusammengefunden, die sich mit ihren Bögen vom bestehenden Reglement nicht vertreten gefühlt haben und sich den “Traditionellen Bögen”, d.h. Langbogen, Reiterbogen etc. widmen.
Kooperationen zwischen DSB, DFBV und DBSV sind langsam im Kommen, um dem Hickhack um Rechte, Pflichten und Möglichkeiten allmählich beizukommen. Und um eventuell die Anzahl der Deutschen Meisterschaften zu senken (aktuell: jeweils Halle und im Freien nach DSB und DBSV, Halle DFBV, Feld DSB und DBSV, Feld&Jagd und Bowhunter DFBV, 3D DBSV, Ligen von DSB, DBSV und DFBV und sicher noch mehr, was ich auf die Schnelle übersehen habe). Letztendlich mündet dies auch in einer Fülle an “Deutschen Meistern”, was die jeweiligen Titel manchmal etwas schal wirken lässt. Aber ob die Große Vereinigung jemals stattfinden wird... na ja. Der Schütze hofft. Ein weiterer Aspekt ist auch, dass der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) nur einen Dachverband pro Sportart (hier sogar der Schießsport im Allgemeinen!) akzeptiert, der dann auch in den Genuss von finanzieller Förderung kommt und eben Schützen nach Olympia oder zu den sportlich wichtigen WA-Weltmeisterschaften entsendet. Hier ist momentan der DSB der Dachverband der Wahl, an dem für den Leistungsschützen kein Weg vorbei führt. Der Fairness halber muss aber gesagt werden, dass DBSV und DFBV oftmals interessantere Turnierformen anbieten als der DSB, was auch von DSB-Leistungsträgern gerne als Alternative wahrgenommen wird.
Außerdem gibt es noch die AAE (Archery Assoziation Europe), gegründet von US-Schützen, die bei ihrer Stationierung in Europa ein Stück Heimat(reglement) mitnehmen wollten. Die AAE orientiert sich an der IFAA, ist inzwischen aber ziemlich beschnitten worden, da auch die IFAA die Sache mit den nationalem Verbänden aufgegriffen hat.
Von der Vielzahl sonstiger nationaler Verbände im Ausland soll hier nicht gesprochen werden, es gibt einfach zu viele. Das Chaos im eigenen Land ist schon schlimm genug.
Dann gibt es noch ein paar zum Teil eigenständige Disziplinen: der Kyudoschüler findet auch seinen eigenen Dachverband, der sich in Deutschland den Budodisziplinen angeschlossen hat. Weiterhin sind da die Spezialdisziplinen mit bekannten Bogentypen: Bogenlaufen und Ski-Archery ("Bogenbiathlon"), Bogengolf (wie Golf, nur eben mit dem Bogen) und ein paar Versionen mehr. Diese "Randdisziplinen" werden zum Teil nach und nach von den großen Dachverbänden entdeckt, man muss sich nur immer schlau machen,. wer sich wofür zuständig fühlt..
Nicht vergessen werden darf der Behindertensport. Egal, ob ein Rolli oder sonstige Hilfsmittel im Alltag Verwendung finden, hier hilft der Behindertensportverband weiter, der auch wieder Kontakte zu Bogenverbänden hat. Sehr schön ist übrigens, dass sehr oft Behinderte und Nichtbehinderte zusammen die gleichen Turniere schießen können. Das hat man nicht bei jeder Sportart.
Eine sehr spezielle Form ist das Bogenreiten: hier werden vom galoppierenden Pferd aus mehrere Pfeile auf am Weg aufgestellte Scheiben geschossen. Wegbereiter hierfür war Lajos Kassai, der die Tradition seiner Vorfahren aufleben lassen wollte. Er hat eine neue Sportart geschaffen, die am besten als Kampfkunst verstanden werden kann - und Lajos Kassai lebt diesen Weg. Auch hier in Deutschland wird dieser Sport betrieben, frag mich aber bitte keiner, wer gerade dafür zuständig ist, das ist nicht mein Fachgebiet. Aber auch hier gibt es eine weitere Organisation: der Bund der Steppenreiter möchte das Bogenreiten eher als Freizeitsportart sehen.
Wie oben schon angesprochen, die Jagd mit dem Bogen ist in Deutschland nicht erlaubt, aber der Vollständigkeit halber sei die IBO (International Bowhunter Organisation) erwähnt, die sich genau diesem Bereich widmet, aber auch 3D-Turniere ausrichtet. Diese Organisation ist aber hauptsächlich in den USA aktiv und spielt hier keine große Rolle, außer, dass man gelegentlich über deren Reglement bei Turnieren stolpert, wenn auch kaum in Deutschland.
So, und jetzt kommt es: jeder dieser Verbände hat seine eigene Sportordnung, sein Reglement, sein Book of Rules oder wie es auch immer heißt. Dort werden die Bogenklassen definiert, die Distanzen, die Scheibengrößen, die Altersklassen, die Bekleidung, und was es noch so alles zu regeln gilt. Im verbandsübergreifenden Dschungel kann man sich problemlos verirren, hier hilft leider nur eines: selber Lesen macht schlau. Oftmals gibt es sogar Unterschiede zwischen dem nationalen Reglement und dem des entsprechenden internationalen Dachverbandes, Ver(w)irrung ist manchmal vorprogrammiert.
Ein paar Beispiele: im Rahmen der Meisterschaften im Freien schießt der DSB 72 Pfeile auf 70 m (bei Compound auf 50 m), der DBSV die "Große FITA-Runde", bei der (bei den Männern) jeweils 36 Pfeile auf 90 m, 70 m, 50 m und 30 m geschossen werden. Auch bietet der DSB nur Recurve-, Compound- und Blankbogen an (auf Landesebene wird ab und zu auch der Langbogen geschossen), der DFBV bietet gute 10 Bogenklassen und anspruchsvolle Feldrunden. Hieraus ergeben sich ganz klar die Probleme bei einer Zusammenlegung: ein einheitliches Meisterschaftsprogramm wird nur sehr schwer zu realisieren sein.
Neben den Meisterschaften (von der Vereinsmeisterschaft bis zur Deutschen Meisterschaft) gibt es bei den einzelnen Verbänden noch ein Ligasystem, das unterschiedliche Schwerpunkte setzt: der DSB in der Halle und der DBSV im Freien. Die Ligen sind Veranstaltungen parallel zum Meisterschaftsprogramm - und die des DSB und DBSV sind reine Mannschaftsveranstaltungen. Wie beim Fußball (um ein prominentes System heranzuziehen) wird hier in mehreren Abstufungen um Aufstiege und Meisterschaften gekämpft. Dann gibt es noch die Feldliga und die 3D-Liga des DFBV, diese sind eine Art Cup-Wettbewerb für Einzelschützen mit einer Qualifizierungs- und einer Finalrunde.
Bogenschießen ist also nicht mit Bogenschießen gleichzusetzen, jeder kann die Version für sich entdecken, die ihm gefällt. Oder er schafft etwas ganz Neues, wie eben Lajos Kassai vor einigen Jahren...
Wie auch immer, man muss seinen Weg und seine Ziele kennen, um sich den richtigen Ansprechpartner auszusuchen. Es gibt aber auch viele Schützen, die in mehreren Verbänden aktiv sind, um sich die Vielfalt zu erhalten.
Man ist über seinen Verein in aller Regel automatisch Mitglied in einem der Verbände, wenn der Verein diesem Verband angehört. Dann darf man die Meisterschaften dieses Verbands mitschießen. Vereinsmeisterschaft, Kreismeisterschaft und so weiter bis zur Deutschen (und, im Falle des DSB, wenn man den Bundestrainern positiv auffällt, durchaus auch weiter, EM, WM, World Games, Olympia).
Das Schöne aber ist: als reiner Freizeitschütze kann einem das ganze Hickhack ziemlich egal sein. Man schießt das, was einem Spaß macht. Und darum geht es letztendlich.