Kleiderordnung?

Dann gibt es aber Regeln… Es gibt Regeln, da fragt man sich, wo sie ihren Platz in der im Artikel „Regeln?“ beschriebenen Rolle finden. Nehmen wir einmal die Kleiderordnung. In der Sportordnung des DSB heißt es beispielsweise: „Straßenkleidung, z. B blaue Jeans, ist nicht erlaubt.“ Aha. Was ist nun aber unter dem Begriff „Straßenkleidung“ zu verstehen? Oder was unter “Sportkleidung”, wie es an anderer Stelle im Text steht? Wenn nun auf der Straße Turnschuhe und Jogginghosen getragen werden, darf ich die dann noch im Turnier anziehen? Man macht es sich hier recht einfach mit dieser Definition, die mit ein paar weiteren Restriktionen garniert wird.

Wenn also keine „Straßenkleidung“ getragen werden darf (was auch immer das sein soll), dann müssen wir eine „Sportkleidung“ tragen, wie auch von vielen Bogensportlern (aha, BogenSPORT!) erwartet. Was aber ist unter diesem Begriff  zu verstehen?

Für mich zeigt sich hier vor allem eines: der Begriff „Sportkleidung” ist genau so wenig bestimmbar wie der Begriff „Straßenkleidung“. Denn wenn man mal einen Querschnitt über die Sportarten zieht, wird man feststellen, dass dieser Begriff sehr spezifisch ausgelegt wird. Ja, nicht einmal innerhalb von „Leichtathletik” oder „Sportschießen” gibt es eine einheitliche Auffassung davon, was meistens durch die Regelwerke gesteuert wird. Und ich rede jetzt nicht mal vom Segeln, Beachvolleyball, Eishockey, Skispringen, Snooker oder meinetwegen auch Angeln und Schach. Und wer seinen Blick durch die Fußgängerzonen streifen lässt, der wird im Ansatz scheitern, Straßenkleidung als solche definieren zu wollen.

Was also wird unter der für den Bogenbereich zulässigen Kleidung verstanden? Es scheint ein allgemeiner Konsens zu existieren, der sich für den Bogensport meiner Interpretation nach im Bereich „Trainingskleidung Leichtathletik" bewegt und mit einigen zusätzlichen Aspekten (Hosenlänge, Tops etc.) versehen ist, aber ohne dass dies so irgendwie festgeschrieben ist. An dieser Stelle möchte ich explizit darauf hinweisen, dass diese Kleidung (sprich: Trainingsanzug) in keiner bekannteren Sportart bei der Ausübung derselben als Sportkleidung auch getragen wird. Um es auf die Spitze zutreiben: es ist Kleidung, die ausgezogen wird, wenn richtiger Sport betrieben wird! Gegenbeispiele nehme ich gerne auf, wie exotisch sie auch sein mögen. Dann lachen wir gemeinsam drüber, versprochen.

Aber probieren wir mal einen anderen Ansatz. Ist „Sportkleidung“ Kleidung, die auf die spezifischen Anforderungen der Sportart "Bogen" eingeht? Was sind diese Anforderungen unseres Sports im Vergleich zu anderen Sportarten? Die Kleidung darf den Athleten nicht behindern (denken wir an Laufen oder Springen), muss ggf. eine entsprechende Schutzfunktion liefern (z.B. Fechten) und sollte ein irgendwie einheitliches Bild des Sports liefern („weiße Sportarten”) - einen Kommentar zu den Kriterien beim Beachvolleyball spare ich mir hier.

Aber jetzt konkret: was hiervon ist auf den Bogensport anwendbar? Gut, im Feldbereich ist das Ganze schon entsprechend angepasst, weil man sich hier im Gelände bewegt, es geht in Richtung Wanderausrüstung (meinetwegen auch Trekking oder Outdoor, Deklaration je nach Fachgeschäft). Dies ist eine konkrete Anforderung, die praktikabel umgesetzt wurde. Aber was ist mit der Halle oder im Freien? Welche konkreten Anforderungen ergeben sich aus dem Sport selbst? In erster Näherung: keine. Dass die Ärmel nicht in die Sehne flattern sollen - das ist eine Nullnummer. Dass geschlossene Schuhe getragen werden - gerade im Freien eine Sicherheitsfrage, geschenkt. So kommen wir leider nicht weiter, schon gar nicht bei Hosen. Jeans oder nicht Jeans, das ist hier beispielsweise die Frage. London_1908_Archery

Letztlich bewegt man sich hier auf historisch gewachsenen Verständnissen, wobei ich zum Vergleich nur mal auf die „Sportkleidung“ vor über 100 Jahren verweisen möchte. Wenn man heute so aufläuft, wird man auf die Bogenkontrolle warten müssen, bis sich die Kampfrichter die Lachtränen aus den Augen gewischt haben. Siehe das Bild rechts, diese Schützen würden heute alle disqualifiziert werden, dabei sind es die olympischen Spiele 1908. Aber - es hat auch funktioniert. Die Kleidung hat die Schützen bei der Ausübung ihres Sports nicht behindert (nun ja, nicht mehr als nötig, wenn man mal die Rahmenbedingungen betrachtet...) und es sah einheitlich aus. Heute hat sich das Bild weg vom gesellschaftlichen Ereignis in Richtung... ja, in welche Richtung denn nun verschoben? In die „sportliche“ Richtung, ohne dass wieder mal klar ist, was „Sport“ denn nun ist. Es wurde auch schon gezeigt, dass gute Ergebnisse fast unabhängig von praktikabel gewählter Kleidung erzielt werden können, das kann jeder Bogenschütze selbst testen - einfach mal in Jeans schießen. Das kann es also nicht sein. Egal, wie man es dreht und wendet, es findet sich kein Ansatzpunkt, der zwingend auf eine bestimmte Kleidung hinführt, wie dies bei anderen Sportarten durchaus der Fall ist.

Demzufolge ist es eine reine Konventionssache innerhalb der Sportart „Bogen”, wie man sich zu kleiden hat und nichts, was sich über konkrete Anforderungen ableiten lässt. Dies führt aber genau deshalb zu kontroversen Diskussionen. Dies macht es hier schwierig, eine Regelung zu finden, die dem Sport und den Sportlern gerecht wird. Wie soll zum Beispiel ein Kampfrichter entscheiden, ob eine bestimmte Bekleidung nun „Sportkleidung“ oder „Straßenkleidung“ darstellt? Er kann es im Einzelfall nicht, weil er dazu keine Kriterien hat. Vielleicht noch das Kriterium, dass Jeansstoff („Denim“) in egal welcher Farbe nicht zulässig ist oder Ähnliches. Somit ist eine Hose aus weißem Jeansstoff nicht zulässig, eine andere weiße Hose ist es. Alles klar und nachvollziehbar? Das sind dann aber nur Teilaspekte, die über den Ausschluss von Spezialfällen versuchen, die Regel mit Leben zu füllen. Erfolglos, wie ich finde, da hier eine klare Positivaussage fehlt, weil immer wieder ein neues Kleidungsstück gefunden wird, das zu Kontroversen führt.

Die Ausgangsfrage war ja: „Was grenzt Straßenkleidung und Sportkleidung voneinander ab?” Ich weiß es nicht. Das Regelwerk weiß es auch nicht. Wie kommt man da jetzt raus? Gar nicht - oder nur durch rigide Regelfestlegungen, bei denen sich immer wieder Schützen auf den Schlips getreten fühlen. Und das ist irgendwie schade.