Man liest es immer wieder: "Hier wird traditionell geschossen", es gibt Bücher und Zeitschriften speziell für das "Traditionelle Schießen" und viele Bogenschützen bezeichnen sich als "traditionelle Schützen".
Doch was bedeutet "traditionell" überhaupt beim Bogensport? Woher kommt dieser Begriff?
Eines zur Beruhigung gleich vorneweg: glücklicherweise bedeutet es nicht, in grünen Uniformen mit Gamsbart am Hut und lamettageschmückt bei Schützenaufmärschen mitmachen zu müssen.
Was heute darunter meist verstanden wird, ist das Schießen mit einem einfachen Bogen, einem Langbogen oder einem Recurve mit möglichst wenig High-Tech, um damit irgendwie die viele tausend Jahre alte Tradition des Bogenschießens ins Spiel zu bringen und sich von modernen (aber was ist eigentlich "modern"?) Entwicklungen abzusetzen.
Doch der Begriff ist meines Wissens nach (wer andere Erkenntnisse hat, die nehme ich gerne auf!) aus einem ganz anderen Grund entstanden. Es ging nicht darum, historische Bogen oder die Schlichtheit oder Natürlichkeit des Materials irgendwie hervorzuheben, nein, der Begriff kam auf, als der Compoundbogen aus der Taufe gehoben wurde, so in den 1960er Jahren. Dieses neue, moderne Stück Technik wurde zunächst sehr skeptisch beäugt, weil er eben nicht wie ein... ja, traditionell bekannter Bogen aussah. Zur damaligen Zeit war der "traditionelle" Standardbogen zwischen dem Langbogen und einem ziemlich weit aufgerüsteten Recurvebogen mit Visier, Stabilisation und Alupfeilen anzusiedeln. Die Tradition, auf die der Bogen damals in Amerika zurückblickte, war damals übrigens gerade mal um die 100 Jahre alt, da der Bogen dort erst im späten 19. Jahrhundert quasi wiederentdeckt und populär wurde.
Aber es kam, wie es kommen musste, die Bedeutung des Begriffs hat sich gewandelt, was heute manchmal recht skurrile Situationen mit sich bringt. Da sitzen Schützen am Lagerfeuer oder in Internetforen zusammen und diskutieren bis fast aufs Messer, ob nun Alupfeile auf einem Langbogen geschossen werden dürfen oder gar Carbon (manchmal scheinbar der Inbegriff des nicht-traditionellen oder modernen) im Bogen oder als Pfeilmaterial noch "traditionell" ist. Hier gibt es so viele Standpunkte wie Schützen, jeder hat seine eigene Definition. Ich werde hier keine weitere hinzufügen, mir ist diese Diskussion -ich gebe es offen zu- einfach zu blöde und zu ausgelutscht geworden. Jeder, der sich in diesem Bereich äußert, stellt seine Definition und seine gezogene Grenze in den Mittelpunkt. Was ist die Folge? Keiner weiß mehr, was "traditionell" nun wirklich bedeuten soll, der Begriff ist zu oft zu einer reinen Worthülse geworden, die mit beliebigem Inhalt gefüllt wird. Alle paar Monate wird erneut drüber gestritten, wie dieser Begriff denn nun zu besetzen sei.
Und genau das finde ich schade. Denn der Bogen selbst hat eine Jahrtausende alte Tradition, die sich über die Jahre mit veränderten Anforderungen und neuen Materialien immer wieder neu erfunden hat.
Umso angenehmer ist es dann, wenn gelegentlich die Herausforderung angenommen wird, mit diesem Begriff umzugehen, ihn mit Leben zu füllen und eine griffige Aussage zu bekommen, so dass sich viele Schützen darunter wiederfinden können. Und da gibt es (ohne Werbung machen zu wollen, aber das muss einfach mal raus) eine Bogenzeitschrift mit einem "Traditionell" im Titel, die genau dies probiert und erfolgreich praktiziert. Auch dort gibt es des Öfteren Reibungspunkte zu genau diesem Thema, aber die Offenheit, in der der Begriff "Traditionell" dort angepackt wird, sollte so mancher Lagerfeuerdiskussion ein Vorbild sein.